Meine Reisen

Beten an den Orten des Grauens

Meine Buß- und Gebetsreisen führen nicht nur zu den bekanntesten Orten mit ehemaligen Konzentrationslagern, wie etwa Auschwitz, sondern auch zu den Orten, die weniger bekannt sind. Ich bin die Einzige, die mit Gruppen Chelno, Belcez, Zabibor und Treblinka besucht. Wie viele wissen schon, dass etwa im Vernichtungslager Treblinka in gut einem Jahr eine Million Juden ermordet wurden?

Das fast vergessene KZ in Gusen, Oberösterreich

Auch in Österreich wissen wenige, dass in Gusen mehr Menschen von den Nazis geschunden und getötet wurden als in Mauthausen, der Haupt-Gedenkstätte des Nazi-Terror im Land?

Schon mehrmals veranstaltete ich Gottesdienste für Buße und Gebet in Gusen. Ein Teilnehmer aus Steyr schrieb die folgenden Zeilen über das Treffen in Gusen.

Kurzbericht über den Bußgottesdienst in Gusen, 26. Mai 2013

{{ Als meine Tochter Annette und ich um halb zwei beim Memorial Gusen ankamen, standen gerade erst mal drei Personen in Eingangsnähe auf dem Parkplatz herum. Zwei davon wollten beim Gedenk-Gottesdienst dabei sein, die dritte – Frau Gammer – wartete auf eine Gruppe polnischer Rabbinerschüler, die aber den ganzen Nachmittag nicht auftauchte. Ich halte das immer noch für eine Führung Gottes, denn Frau Gammer ist eine ausgezeichnete Kennerin der Geschichte des Lagers, aber auch der Epoche nach der Lagerbefreiung. Weil ihre Gruppe nicht kam, stellte sie sich bereitwillig unserer Gruppe als fachkundige Führerin zur Verfügung.

Um 14 Uhr hatten sich gut 30 Personen eingefunden und wir gingen in das Besucherzentrum. Nach einer kurzen Begrüßung durch Christa Behr wurde Frau Gammer das Wort gegeben. Sie erzählte über die Anfänge und den Aufbau des Lagers, aber auch etwas über das Desinteresse seitens öffentlicher Stellen für das Nebenlager Gusen nachdem es befreit, dann aber von den Russen besetzt worden war.

Martha GammerWas für mich in ihrem Bericht herausragte ist die Tatsache, dass gerade in Gusen gezielt bestimmte Menschengruppen vernichtet werden sollten. So z.B. die polnische Intelligenz. Viele Tausend Studenten, Lehrer, Professoren, Ärzte, Rabbiner und rund 350 Priester waren hierher geschickt worden, um durch ein Übermaß an Arbeit und den Mangel an Nahrung vernichtet zu werden.

Ebenso betroffen machte die Information, dass viele Kindertransporte nach Gusen geschickt wurden. Es ist gesichert, dass in einer Nacht ein SS-"Arzt" über 400 Kinder mit einer Giftspritze tötete. Bei einer anderen Gelegenheit konnte eine junge Kindergärtnerin, die durch den Gefallen des Kommandanten das Lagergelände betreten konnte, um sich vom Zahnarzt behandeln zu lassen, mitbekommen, wie viele betäubte Kinder von Kapos (Häftligen) gegen eine Mauer geschleudert und so getötet wurden.

Als ab Anfang 1944 die Stollenanlagen für das Lager Gusen II gebaut wurden, wurden vor allem jüdische Häftlinge zum Vorantreiben der Stollen und deren Sicherung eingesetzt. Laut Frau Gammer kamen dabei an die 11.000 Juden ums Leben.

Was mir auch Tränen in die Augen trieb war die Tatsache, dass das Krematorium, das dem Verfall preisgegeben war und abgerissen werden sollte, von den Häftlingen, die Gusen überlebt hatten, in den 60er Jahren gekauft und zu einer Gedenkstätte umfunktioniert wurde. Das Besucherzentrum (2004 eröffnet), in dem wir uns befanden, war zu 80% von polni- schen Spenden finanziert worden! Ich habe mich geschämt für unser Land, als ich das hörte.

Nach Frau Gammer, deren Beitrag von allen sehr geschätzt wurde, hatte Yehudit Kriegel aus Israel die Chance, ihre Geschichte zu erzählen.

Frau Gammer, Christa Behr, Yehudith KriegelSie war die Tochter eines wohlhabenden Fabrikanten in Krakau und 11 Jahre alt, als die Deutschen kamen und sich alles für die Juden änderte. Angefangen mit der sozialen Ausgrenzung ("Hunden und Juden Eintritt verboten") bis hin zur Vertreibung aus dem schönen Haus und den Jahren im Krakauer Ghetto, berichtete sie auch über die Erlebnisse in den Konzentrationslagern Plaszow, Auschwitz, Birkenau, Ravensbrück und Neustadt-Glewe, die sie kennengelernt hatte.

Nachdem Yehudit den Todesmarsch überlebt hatte, wurde sie – auf 40 kg abgemagert – in Neustadt-Glewe befreit. Dort hatten die Juden noch einige Tage davor das Passahfest mit einem Keks und einem bisschen Milchpulver "gefeiert". "Wir waren so aufgeregt, wir vergaßen die Wirklichkeit und sangen 'Nächstes Jahr in Jerusalem'". Und – der Traum wurde wahr und Yehudit konnte 1946 ihren Vater in Israel wiedersehen. Im Gegensatz zur Mutter hatte er ebenfalls überlebt. Zusammen mit ihrer Schwester Esther feierte Yehudit das nächste Passah in Tel Aviv, Israel.

Der nächste Abschnitt unseres Treffens fand beim Krematorium statt. Umgeben von einer labyrinthartig angelegten Betonmauer, überdacht von einer Stahlkonstruktion, steht dort noch der Krematoriumsofen mit zwei Türen. Von der offiziellen Befreiungsfeier 14 Tage zuvor lagen noch sehr viele Kränze vor dem Ofen. Im Halbkreis stellten wir uns herum und hörten Psalm 130, vorgelesen vom evangelischen Pfarrer Siegfried Oberlerchner. Pfr. Siegfried OberlerchnerSpäter gab er auch den Eindruck weiter, dass er viel Menschenfurcht in Österreich spüre, auch unter Christen, und dass er sich frage, ob das nicht mit der Zeit des Nationalsozialismus zusammenhänge. Deshalb wurde im Laufe des weiteren Zusammenseins und nach einer Zeit des Gebets auch allen Gebet und Salbung mit Öl angeboten, die sich vom Heiligen Geist, der nicht ein "Geist der Furcht" sondern ein "Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit" (2 Tim 1,7) ist, neue Kühnheit schenken lassen wollen, für die Wahrheit und das Evangelium einzutreten.

Krematoriumsöfen KZ GusenChrista Behr wies die Anwesenden darauf hin, dass die heutige Aktion dem Versuch der antigöttlichen Kräfte – gerade auch in der unsichtbaren Welt – entgegenlaufe, die die Wahr- heit über das unglaubliche Unrecht, das an diesem Ort Gusen geschehen ist, unterdrücken wollen, auch noch Jahrzehnte nach den Ereignissen. Aber nur, wenn die Wahrheit ans Licht kommt, nur wenn Sünde beim Namen genannt und vor Gott gebracht wird, nur wenn gerade Christen an dieser Stelle Buße tun und vor Gott für einen offenen Himmel eintreten, werden die negativen Auswirkungen, welche zweifellos mit diesen Gräueln verbunden sind, überwunden werden. Sie rief dazu auf, dass sich Gläubige aller Konfessionen aus der Region, die das auf dem Herzen haben, in regelmäßigen Abständen an der Gedenkstätte Gusen treffen, um miteinander zu beten. Eine kleine Gruppe aus der Pfarre St. Georgen/Gusen hat hier schon viele Jahre lang durch geschichtliche Nachforschungen, Einsatz für die Sicherung eines Teiles der Stollen für Gedenkzwecke, und auch durch Gebetswachen am Karfreitag wertvolle Arbeit geleistet.

Franz Rathmair }}